Stilgeschichte ~ 1880-1900: Neurenaissance
Geschichte, Fassaden & Fenster


1880er Jahre

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden sowohl Architektur als auch Gegenstände von einer Vielzahl historischer Stile inspiriert. Neugotik, Neurenaissance und Neorokoko sind Beispiele für Stilideale, die unter dem Begriff Neostile bekannt werden. Der dominierende Stil unter den Neostilen wird die Neurenaissance. Der Stil ist stark vom klassischen Formenschatz der Antike inspiriert, der als eine Art Grundstil betrachtet wird. Durch internationale Zeitschriften verbreitet sich das Wissen über das neue Ideal, und in Schweden richten die Architekten ihren Blick auf die großen Städte Europas. In Schweden herrscht Hochkonjunktur, und die Industrie beginnt zu blühen. Für die Städte bedeutet dies eine starke Entwicklung. Neue Unternehmen und Industrien etablieren sich, und die ländliche Bevölkerung wird weitgehend zu Stadtbewohnern. Dies führt zu einer extrem ungesunden Überbevölkerung. Der Wohnungsbau nimmt Fahrt auf, und in Stockholm herrscht ein regelrechter Bauboom. Die Verbindung zwischen dem Bauboom und dem herrschenden Stilideal führt dazu, dass die Neurenaissance zum dominierenden Stil unter den Gebäuden der Steinstadt wird.

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Sommerhaus in Wikingsberg, Österåker, Uppland

Für diejenigen, die es sich leisten können und die Möglichkeit haben, gibt es einen Ausweg aus den ungesunden Wohnverhältnissen der Stadt. Neue Verbindungen, wie zum Beispiel Zug und Boot, tragen dazu bei, dass beliebte Gebiete entlang unserer Küsten und Schären mit Sommerhäusern für erfolgreiche Familien bebaut werden. Insgesamt bedeutet dies, dass die stilistischen Ideale der Architektur je nach Ort und Bedarf unterschiedliche Ausdrucksformen annehmen, und in den Sommerhäusern spiegelt sich das wider, was als Schweizer Stil bekannt wurde.

Dank der industriellen Entwicklung werden die meisten Gebäude in den 1880er Jahren mit vorgefertigten Bauteilen errichtet. Balkone, Treppen und Geländer werden ebenso wie Schreinerarbeiten und Türen in Fabriken hergestellt. In Musterbüchern und Warenkatalogen, sogenannten Preisverzeichnissen, können Architekten und Baumeister nach Belieben auswählen.

1890er Jahre

Die 1890er Jahre waren geprägt von der Suche der Architekten nach neuen Stilrichtungen und dem Bedarf an neuen Ausdrucksformen. Man behauptete, dass die Mehrfamilienhäuser der 1880er Jahre von geringer technischer Qualität waren und überdekoriert waren mit Gipsornamenten ohne Funktion. Das Gefühl für das Material, also den Stein, den der Gips eigentlich imitierte, war verloren gegangen. Stattdessen wurde Ehrlichkeit und Authentizität in den Materialien und der Architektur gefordert. Neue ästhetische Werte entstanden, zwar mit historischen Stilen wie Gotik, Renaissance und Barock, aber sie wurden auf neue Weise kombiniert. Die Einflüsse kamen von französischen Schlössern aus dem 15. und 16. Jahrhundert sowie vom dänischen Christian-IV.-Stil.

Fassaden der 1880er Jahre

In der Steinmetropole sind die Fassaden der Neurenaissance mit symmetrisch angeordneten Fenstern und Eingangsbereichen aufgebaut. An den Fassaden werden Formelemente platziert, die von den Idealen der Antike und der Renaissance ausgehen, wie Pilaster, Säulen, Gesimse, Segmentbögen und Giebel sowie kleinere Details wie Akanthusblätter, Masken und Voluten. Der Grad der Verzierung kennzeichnet den Status des Hauses, und jede Etage erhält einen eigenen Charakter. Der Erdgeschoss der Fassade versucht, gehauene Natursteinblöcke zu imitieren, danach kommen die aufwendigeren Wohnungen mit reicher Fassadenverzierung. Abschließend hat das oberste Geschoss eine einfachere Verzierung, eine niedrigere Raumhöhe und Fenster. Die Hof-Fassaden sind überhaupt nicht verziert. Die Fenster haben große Öffnungen, die etwas in die Mauer eingelassen sind. Sie sind normalerweise mit einem kreuzenden Mittel- und Querpfosten und vier nach außen öffnenden Bögen gestaltet. Die Fassaden werden in ruhigen hellen, recht schwachen Farben verputzt, wie zum Beispiel gelb-beige, gelb-weiß oder grau-weiß, und der Sockel wird in einer steingrauen Farbe gestrichen. Die Fenster-Schreinerei wird mit Leinölfarbe in dunklen, nussbraunen oder dunkelgrün-grauen Farben gestrichen. Die Dächer sind aus verzinktem Blech, schwarz oder rot. Der Eingang zu den Häusern ist durch einen dekorativen Rahmen deutlich gekennzeichnet, auch wenn das Haus ansonsten bescheiden dekoriert ist. Die Türen haben kräftige schöne Doppeltüren aus Holz mit dickem und geschliffenem Glas. Die Treppenhäuser spielen eine wichtige Rolle und heißen den Besucher unter anderem mit marmorimitierenden Wänden, Paneelen, Dekorationen und bemalten Glas willkommen. Die Materialien werden dem Status des Hauses angepasst. Die zeitgenössische Villa wird mit Paneelen in sowohl stehender als auch liegender Form sowie prächtigen laubsägegeschnitzten Verzierungen gebaut. Die Fassaden werden mit verglasten Veranden geschmückt, die ebenso wie Doppeltüren und Fenster gerne mit farbigem und gemustertem Glas versehen sind.

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Schöne Fassade an der Kreuzung Junfrugatan - Karlavägen in Stockholm, erbaut 1885.

1880-talets fönster

Die Gestaltung und Unterteilung der Fenster sind in der Regel ein sicheres Mittel, um das Alter eines Gebäudes abzulesen. Die Größe, Form und Platzierung der Fenster sind eines der wichtigsten Elemente sowohl im Ausdruck der Fassaden als auch der Räume. Die Gestaltung der Fensterprofile ist von großer Bedeutung für die Lichtverteilung im Raum. Ein profiliertes Rahmenprofil leitet das Licht allmählich in den Raum.

In den 1880er Jahren wurden die Fenster durch Mittel- und Querholme unterteilt. Die beiden oberen Scheiben sind fast quadratisch, während die unteren unter der Querstange größer und rechteckig sind. Die Querstange ist notwendig, damit die schlanken Bögen aus Kernholz die großen Glasflächen tragen können. Die Fenster bestehen aus Einfachglas, das nach außen geöffnet und mit Riegeln und Riegelschlössern geschlossen wird. Während der kalten Wintermonate werden die Fenster innen durch lose einziehbare Innenrahmen ergänzt, die mit Klebestreifen abgedichtet werden. Ein Innenfenster pro Raum ist mit Scharnieren versehen, um belüftet zu werden. Die Fensterschreinereien werden mit Ölfarbe in dunkleren Farben wie Braun oder Graugrün gestrichen.

Fassaden der 1890er Jahre

Die Architektur der 1890er Jahre ist im Großen und Ganzen eine Revolte gegen den Stil der 1880er Jahre. Anstelle symmetrischer Fassaden werden asymmetrische entworfen, mit unterschiedlich geformten Fenstern, die entsprechend den Bedürfnissen der Räume platziert werden, eine Neuheit, die völlig neue Bedingungen für die Fassadenarchitektur schafft. Große Sorgfalt wird auf fantasievolle Dachsilhouetten gelegt, mit Türmen und Giebeln, die über die Dachleiste ragen, sowie Dekorationen aus Schmiedeeisen und Gusseisen an Balkonen, Ankerplatten und Turmspitzen. Die Fassaden werden mit "echten Materialien" gestaltet, was bedeutet, dass Ziegel und Naturstein sichtbar sind und konstruktive Details wie Fensterbögen mit Naturstein hervorgehoben werden. Die Fenster und die Tür werden unregelmäßig in die Fassade eingebaut. Die Fensterstürze sind oft sowohl gerade als auch gewölbt an derselben Haus. Die Schreinerarbeiten werden in dunklen Tönen bemalt, zum Beispiel braun, rotbraun oder grün. Die Dächer bestehen aus bemaltem Blech oder Schiefer. Die Treppenhäuser sind reich verziert und werden nun von mittelalterlichen Umgebungen inspiriert, mit beliebten Elementen wie Kreuzgewölben, gotischen Spitzbögen und Vierpässen.

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Die Ecke Storgatan-Torstenssongatan in Östermalm, Stockholm. 1890er Jahre.

Auch in der Villaarchitektur zeigen die Architekten ihren Wunsch nach echten Materialien und Asymmetrie durch unterschiedlich hohe Baukörper, markante konstruktive Details und eine Vielfalt von Dachformen. In Nordschweden und Mittelschweden werden die Häuser in der Regel mit Holzfassaden aus sowohl senkrechten als auch waagerechten Brettern gebaut, während Ziegelfassaden im Süden Schwedens üblich sind. Die Fassaden folgen der Architektur von Mehrfamilienhäusern mit Türmen und Zinnen und sind mit Schnitzereien an den Glasterrassen und Giebelspitzen verziert. Bunte Glasfenster in Fenstern und Veranden sind beliebt. Die Häuser werden oft in einem hellen Leinölfarbe gestrichen, die eine dunklere Nuance an den Fensterumrahmungen erhält und dann noch dunklere Nuancen an den Fensterbögen. Beliebt sind gelbe Fassaden mit braunen Zierleisten oder eine Kombination aus Grün und Grau.

Fenster der 1890er Jahre

Während der 1890er Jahre begann man im Gegensatz zu 1880, verschiedene Fensterformen an derselben Fassade zu verwenden. Typische Fenster dieser Zeit haben einen Mittel- und Querriegel. Unter dem Querriegel befinden sich zwei Scheiben, während darüber eine ganze Scheibe sein kann. Entweder mit einem bogenförmigen Obergeschoss oder einem geraden. Charakteristisch für die Zeit ist auch, dass die Spitzbogenfenster nach den Idealen der Gotik gestaltet sind. Die Schreinerarbeiten sind schlank, und gemeinsam mit den großen Glasflächen gelangt viel Tageslicht in die Räume. Wie in den 1880er Jahren bestehen die Fenster aus äußeren und inneren Rahmen. Die inneren Rahmen werden im Frühling entfernt, um bessere Belüftung und Lichtverhältnisse zu ermöglichen, und im Herbst wieder eingesetzt. Gegen Ende des Jahrzehnts wurden gekoppelte Fenster eingeführt, aber es würde noch einige Zeit dauern, bis sie üblich wurden. Die neuen gekoppelten Fenster werden mit Sperrstangen geschlossen. Für Mehrfamilienhäuser werden die Schreinerarbeiten in dunklen Farben wie Braun oder Grau gestrichen. Die Farbgebung der Villen basiert auf Kontrasten zwischen verschiedenen Farben von Rahmen und Pfosten sowie Verkleidungen. Die Gestaltung und Einteilung der Fenster ist in der Regel ein sicherer Anhaltspunkt, um das Alter eines Gebäudes abzulesen. Die Größe, Gestaltung und Platzierung der Fenster ist eines der wichtigsten Elemente sowohl im Ausdruck der Fassaden als auch der Räume. Die Gestaltung der Fensterprofile hat eine große Bedeutung für die Lichtverteilung im Raum. Ein profiliertes Profil führt das Licht stufenweise in den Raum.

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